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| |  | Vater, Mutter, Kind |  |  |  |    |  |  |  |  |  |    |  | Von Johannes Röser |  |  |  |    |  |     | Neue medizinische Erkenntnisse wecken  schwerste Bedenken gegen allzu frühe und allzu lange außerfamiliäre  Betreuung von Kleinstkindern. Die Krippenplatz-Debatte erscheint hier in  einem neuen Licht. 
 Lehrerinnen und Lehrer beobachten es seit langem: Verhaltensstörungen,  Disziplinlosigkeit, Respektlosigkeit, Konzentrationsmangel und  Missachtung selbst der einfachsten Umgangsformen haben in den letzten  zwei Jahrzehnten unter Kindern und Jugendlichen massiv zugenommen. Dazu  kommen erhebliche Leistungseinbrüche. Mancher Lernstoff, der früher  Standard war, ist in vielen Klassen heutzutage gar nicht mehr zu  vermitteln. Man schraubt daher die Anforderungen, das Niveau runter und  benotet die schlechteren Leistungen besser, um überhaupt noch einen  gewissen Durchschnitt zu wahren.
 
 Was Fachleuten längst bekannt ist, wurde durch eine Allensbach-Studie  soeben bestätigt. Jeder zweite Lehrer sagt, dass Unterrichten  schwieriger geworden ist. Man müsse immer mehr Aufgaben des Elternhauses  übernehmen. Insbesondere zu den Eltern von Problemkindern sind die  Kontakte - sofern sie überhaupt zustandekommen - kompliziert. Einerseits  verlangen die Eltern, die Lehrer sollten härter durchgreifen,  andererseits klagen sie mit Rechtsanwälten, wenn sie ihren Nachwuchs in  der Schule als ungerecht behandelt empfinden. Die „Frankfurter  Allgemeine" meint: „Offenbar gibt es immer mehr Eltern, die sich  ausschließlich als Lobbyisten ihres Kindes verstehen und jede Kritik an  ihrem Verhalten als narzisstische Kränkung empfinden."
 
 Lehrer sind jedoch keine Ersatzeltern. Umgekehrt sind und bleiben die  Eltern die ersten Lehrer ihrer Kinder - von Anfang an, ein ganzes Leben  lang, auch in der Art, wie Mann und Frau miteinander umgehen, wie sie  Probleme meistern, wie sie schließlich altern, leiden und sterben.  Manche Teile der Gesellschaft scheinen allmählich allerdings zu spüren,  dass in den Erziehungsfragen Grundlegendes schiefläuft.
 
 Verschiedene Faktoren sind offenkundig. Zum einen werden Kinder  auffällig, wenn sich Vater und Mutter trennen. Die emporgeschnellten  Scheidungen sind eben nicht belanglos für die seelische Gesundheit sowie  die sogenannte kognitive Kompetenz, also die Lern- und Denkfähigkeit  der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
 
 Wie erwachsen sind Erwachsene?
 
 Ein bisher noch wenig beachtetes Problemfeld ist die Infantilisierung  der Erwachsenenwelt, die sich immer kindischer benimmt, statt selber  vorbildhaft erwachsen Kinder ins Erwachsensein zu führen. Man kann das  infantil-pubertäre Getue, Gespiele und Gekreische erwachsener Leute  überall beobachten, von der Mode über den Sport bis zum Star-Rummel.  Soeben erst wurde es uns wieder vorgeführt, als eine zwar spannende,  spielerisch jedoch mittelmäßige, bloß durch Elfmeterschießen  entschiedene Halbfinal-Begegnung des FC Bayern bei Real Madrid aus  kommerziellen Gründen sogar von Reportern, die kritisch zu sein hätten,  zur Partie des Jahrhunderts hochgejubelt wurde. Die absurde Inszenierung  des Spielerempfangs mit enthusiastisch grölenden und die Stars  anhimmelnden „Erwachsenen" wurde von den Fernsehnachrichten minutenlang  als erste Meldung zelebriert. Sind wir wirklich schon derart  realitätsblind geworden, dass man uns alles verkaufen und selbst  Niederlagen wie einen bloß dritten Platz bei einer WM zum  „Sommermärchen" stilisieren kann? Nicht einmal Vizeweltmeister!
 
 Neben den pubertären Albernheiten einer infantilisierten Erwachsenenwelt  wirken sich weitere Trends verhängnisvoll auf die Entwicklung von  Kindern aus. Besonders dramatisch ist, dass Eltern in der heute üblichen  Arbeits- und Konsumkultur, die hohe Mobilität und Flexibilität  einfordert, immer weniger Zeit haben oder sich immer weniger Zeit  nehmen, um sich intensiv um ihren Nachwuchs zu kümmern. Man spricht  schon von Wohlstandsverwahrlosung: Materiell haben die Kinder alles, für  ihre Sinnbildung geistig, spirituell, religiös jedoch haben sie immer  weniger, oft nichts. Weil Vater und Mutter meistens beide berufstätig  sind und weil allein schon aus finanziellen Gründen Doppelverdiener  notwendig sind, um als Familie über die Runden zu kommen, leiden  darunter zuerst die, die eine dauerhafte Bezugsperson brauchen.
 
 Hinzu kommt die allgemeine Emanzipationsdynamik, welche die Leistung von  Frauen - und Müttern - allenfalls dann anerkennt, wenn sie erwerbstätig  sind. Erziehungsleistungen werden weder durch einen auch nur annähernd  angemessenen Familienlastenausgleich gerecht belohnt noch imagemäßig  honoriert. Kinder kosten, und sie selber zahlen am Ende die Zeche,  spätestens wenn die gigantisch aufgeblähte Staatsverschuldung unsere  Kinder frisst.
 
 Die Hinweise auf familiär, gesellschaftlich und politisch mitverursachte  Entwicklungsstörungen des Nachwuchses verdichten sich. Die faktische  „Kulturrevolution" des letzten halben Jahrhunderts geht an den heute  Heranwachsenden nicht spurlos vorbei, wie jetzt auch Kinder- und  Jugendärzte diagnostizieren. Doch der Mainstream, der unverdrossen  propagandistisch auf Kindertagesstätten, Tagesmütter und möglichst  umfassende Kleinstkinderbetreuung außerhalb der Familie setzt, lässt  sich selbst von den durch die Hirnforschung untermauerten Fakten nicht  beeindrucken. Dabei weisen inzwischen sehr viele Untersuchungen darauf  hin, dass der elterliche Entzug für die Allerkleinsten bis zu drei  Jahren besonders hohe psychische, psychosomatische, somatische und  soziale Risiken birgt.
 
 Ärztlicher Alarmruf
 
 Der Mediziner, Neurologe und Leitende Arzt des Sozialpädiatrischen  Zentrums Bielefeld-Bethel Rainer Böhm hat in einem aufschlussreichen  Aufsatz der FAZ (4. April) die Erkenntnisse veranschaulicht: „Die dunkle  Seite der Kindheit" - anscheinend jedoch mit eher magerer öffentlicher  Resonanz. Auch Talkshows, die sonst jede Banalität aufgreifen und zigmal  durch die Redemühle drehen, tabuisieren die politisch unkorrekte  medizinische Seite des Themas. Der Befund, der mittlerweile durch  Langzeitbeobachtungen vom ersten Lebensmonat bis ins Jugendalter hinein  untermauert wird, ist allerdings erschreckend: Denn bei sehr vielen der  schon früh außerfamiliär betreuten Kinder kann man „einen deutlichen  Rückgang sozioemotionaler Kompetenz" feststellen. Und das trifft  international zu. So ist in den Vereinigten Staaten nachgewiesen worden,  dass im Vergleich zu den siebziger Jahren die Kinder anderthalb  Jahrzehnte später im Durchschnitt deutlich „verschlossener, mürrischer,  unglücklicher, ängstlicher, depressiver, aufbrausender,  unkonzentrierter, fahriger, aggressiver" waren. Zudem wurden sie  häufiger straffällig.
 
 Im letzten Jahr ist in Deutschland bei einem Kinderärzte-Kongress die  aufsehenerregende Großstudie des renommierten amerikanischen Nationalen  Instituts für Kindergesundheit und Entwicklung (National Institute of  Child Health and Development) ausführlich vorgestellt worden, die über  lange Zeiträume hinweg das Verhalten und die Entwicklung von mehr als  1300 Kindern repräsentativ und detailliert gemessen und zusätzlich  weitere 300 wissenschaftliche Publikationen ausgewertet hat. Demnach  steht positiv fest, dass eine gute Eltern-Kind-Bindung selbst durch  außerfamiliäre Störungen oder durch außerfamiliäre Betreuung nicht  grundsätzlich negativ beeinflusst wird. Aber umgekehrt ist leider klar  und unzweifelhaft, dass - so Böhm - sehr frühe und umfangreiche  Betreuung von zweifelhafter Qualität mit erheblichen Risiken für das  Bindungsmuster zwischen Mutter und Kind einhergeht. Damit erhöht sich  auch das Risiko, später an einer psychischen Störung zu erkranken.
 
 Stress wie bei einem Manager
 
 Eine hohe Betreuungsqualität, wie sie überall gefordert wird, verbessert  wiederum gewisse kognitive Leistungen, also die Lernfähigkeit, das  Denken und Wissen im Vorschulalter. Dieser Unterschied und „Vorsprung"  hält sich zum Teil noch bis zur Sekundarstufe, wird aber allmählich  ausgeglichen, schmilzt dahin. Zutiefst beunruhigend ist hingegen, dass  sich die Krippenbetreuung „unabhängig von sämtlichen anderen  Messfaktoren negativ auf die sozioemotionale Kompetenz der Kinder"  auswirkt. Das heißt: Je mehr Zeit die Kinder in einer  Betreuungseinrichtung verbringen, desto stärker zeigen sie auch später  ein sozial gestörtes Verhalten: „Streiten, Kämpfen, Sachbeschädigungen,  Prahlen, Lügen, Schikanieren, Gemeinheiten begehen, Grausamkeit,  Ungehorsam oder häufiges Schreien". Unter den ganztags betreuten Kindern  zeigt ein Viertel bereits im Alter von vier Jahren ein  Problemverhalten, das laut Böhm bereits im Grunde als „klinisch"  relevant zu betrachten ist und entsprechend als Krankheit behandelt  werden müsste. Die Konflikte entladen sich bei den untersuchten  Fünfzehnjährigen durch auffälligen Drogenkonsum: Alkoholexzesse,  Rauschgift. Sehr hoch gestiegen sind bei den Untersuchten Vandalismus  und Diebstahl.
 
 Alle diese Faktoren widerlegen die ständig gebetsmühlenartig  vorgetragene Behauptung, dass Kinder allein durch möglichst frühes  Einspannen ins Kollektiv einer Kinderkrippenbetreuung zu günstigem  Sozialverhalten befähigt werden. Nach der amerikanischen Großstudie  fördert die außerfamiliäre Betreuung bereits kleinster Kinder ohne  ausgleichendes intensives erzieherisches und emotionales Bemühen der  eigenen Eltern geradezu die Asozialität!
 
 Ein Klischee lautet: Man müsse nur für eine ausreichend gute Qualität  der Krippenbetreuung sorgen, dann sei alles in Ordnung, dann sei das  Kindeswohl gewährleistet. Das ist ein Trugschluss, wie die Studien  belegen: „Die Verhaltensauffälligkeiten waren weitgehend unabhängig von  der Qualität der Betreuung. Kinder, die sehr gute Einrichtungen  besuchten, verhielten sich fast ebenso auffällig wie Kinder, die in  Einrichtungen minderer Qualität betreut wurden." Selbst qualitativ  bester und höchster individueller Betreuungsaufwand ändert an der  emotionalen Problematik nichts. Grundsätzlich bestätigt wird aber, dass  das Erziehungsverhalten der Eltern einen deutlich stärkeren Einfluss auf  die Entwicklung ausübt als die Betreuungseinrichtungen.
 
 Also ist Erziehung ganz klar Elternsache, nicht an andere Instanzen  abzutreten. Die an der amerikanischen Großstudie beteiligten Ärzte,  Psychiater, Hirnforscher, Psychologen und Pädagogen empfehlen daher  eindringlich: Die Eltern müssen in ihrem Erziehungsauftrag gestärkt  werden. Die Betreuung in außerfamiliären Einrichtungen ist auf ein  möglichst geringes Maß zu reduzieren. Böhm bedauert, dass diese  Erkenntnisse hierzulande tabuisiert oder schlichtweg geleugnet werden.  Die dringende Mahnung, die Betreuungsdauer zu verkürzen, wird politisch  sogar geradezu ins Gegenteil verkehrt. Möglichst lange sollen immer mehr  Kleinstkinder fernab von Mutter (und Vater) in entsprechende  Einrichtungen abgegeben werden.
 
 Die entsprechende Propaganda aber ist nicht nur bedenklich, sondern  aufgrund der wissenschaftlichen Fakten grob fahrlässig, ja  verantwortungslos - für die einzelnen betroffenen Kinder wie für die  Zukunft unserer Gesellschaft. Denn das, was die Studie des  amerikanischen Nationalinstituts feststellt, erweist sich, wie Rainer  Böhm bestätigt, sogar nur als „Spitze des Eisbergs".
 
 Untermauert werden die schwerwiegenden Bedenken durch inzwischen  zahlreiche Untersuchungen des Stresshormons Cortisol. Davon kann man bei  einem gesunden Biorhythmus einen hohen Wert am Morgen messen. Im Lauf  des Tages flaut er jedoch bis zum Abend hin deutlich ab. Bei den  ganztägig betreuten Kindern hingegen steigt die Ausschüttung dieses  Hormons an. Das sei ein untrügliches Zeichen für dauerhaft hohe  Stressbelastung. Fast alle Kinder zeigen diesen auffälligen Verlauf,  selbst in Einrichtungen mit gehobener Betreuungsqualität. Selbst bei  allerbester individueller Zuwendung in den Kitas stehen noch drei von  vier Kindern am Abend unter „abnormem Stress", so Böhm. Diese  Stressreaktionen lassen sich mit denen gehetzter Manager vergleichen.  Chronischer Stress aber - und das bereits ab dem ersten Lebensjahr -  macht nachweislich krank. Ähnliche chronische Stressbelastungen in  jungem Alter weisen, wie die psychobiologische Forschung zeigt,  ansonsten nur schwer misshandelte, sexuell missbrauchte und extrem  vernachlässigte Kinder auf. Solche Stressprofile hat man zum Beispiel  auch bei zweijährigen Kindern in rumänischen Waisenhäusern der neunziger  Jahre gemessen, als schockierende Bilder von deren Leid durch die  Weltpresse gingen. Für die an den Untersuchungen beteiligten  Wissenschaftler ist klar: Eine große Zahl von Krippenkindern ist „durch  die frühe und lang andauernde Trennung von ihren Eltern und die  ungenügende Bewältigung der Gruppensituation emotional massiv  überfordert".
 
 Die dadurch verursachten Probleme verschärfen sich mit dem Jugendalter  bis ins Erwachsenenalter. Speziell die neurologischen Zentren der  Stressbewältigung werden geschädigt, denn die ersten Lebensjahre sind  die wichtigsten und heikelsten für die Hirnentwicklung. Möglicherweise  gräbt sich in dieser Phase der chronische Stress sogar in die  genetischen Mechanismen ein, so dass die Regulationsstörungen an den  eigenen Nachwuchs weitervererbt werden. Die Biologie spricht dabei von  „epigenetischen" Phänomenen und Faktoren. Jedenfalls scheinen  Krankheiten, die mit einem von Dauerstress geschwächten Immunsystem  zusammenhängen, durch frühkindliche Erfahrungen begünstigt zu werden. Es  gibt den Verdacht, dass die rasante Zunahme von Depressionen bereits  bei jungen Leuten mit solchen Stressentwicklungen durch elterlichen  Entzug zusammenhängt.
 
 Böhm stellt fest, dass es vielen derzeit noch schwerfällt, die  Forschungserkenntnisse anzunehmen - und dass politisch entsprechend viel  falsch läuft. Selbst die Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland habe  erst in neuerer Zeit begonnen, sich dem Problemfeld eingehender zu  stellen. Für Böhm gibt es nur eine Konsequenz: aufklären, aufklären und  nochmals aufklären. Gleichzeitig kritisiert er scharf unter anderem die  Bertelsmann-Stiftung, die mit hohem Aufwand die Krippenbetreuung  propagiere und den Eltern weiszumachen versuche, dass ihr Kind durch  möglichst frühe außerfamiliäre Förderung besonders schlau und klug  werde. So sei „mit großem publizistischem Aufwand" eine hohe Rate von  Gymnasialanmeldungen nach Krippenbetreuung plakatiert worden. Nach Böhm  hat das allerdings ganz andere Gründe und ist auf den Ehrgeiz, den Stolz  und die höheren Ansprüche einzig der Eltern zurückzuführen, die wollen,  dass ihr Kind auf jeden Fall ein Gymnasium besucht. Mit einem  „kognitiven Gewinn" durch womöglich ganztägige Versorgung in den  Kinderkrippen habe das überhaupt nichts zu tun.
 
 Die Wirtschaft will die Krippe
 
 Rainer Böhm ist sich außerdem sicher: „Die deutsche ‚Krippenoffensive'  geht wesentlich auf die massive politische Lobbyarbeit von  Wirtschaftsverbänden zurück, die angesichts der demografischen  Entwicklung versuchen, Arbeitskraftreserven auch unter jungen Eltern zu  mobilisieren. So wird etwa in Publikationen wirtschaftsnaher Institute  versucht, den Begriff ‚Familienfreundlichkeit' wesentlich über das  Angebot an Krippenbetreuungsplätzen zu definieren. Die  Bertelsmann-Stiftung, der operative Arm des großen europäischen  Medienkonzerns, bereitet seit Jahren systematisch den Boden für eine  langfristig geplante Expansion der Konzernaktivitäten ins lukrative und  konjunkturunabhängige Bildungsgeschäft. Dabei wird auch die  Meinungsführerschaft im Sektor frühkindliche Bildung angestrebt.  Kritische Stimmen werden marginalisiert, andere dagegen in eigene  ‚Studien' eingebunden, die die Konzernziele unterstützen. Auch die  Betreuungsbranche macht sich für die Ausweitung des Krippenangebots  stark, da sie sich von diesem Schritt Wachstumschancen erwartet, die  durch staatliche Subventionierung abgesichert sind. Marktchancen winken  auch Fachverlagen, die sich einen neuen Publikationssektor erschließen  können. Universitäten und Fachschulen schließlich hoffen auf  Steuergelder für neue Ausbildungsgänge." Und man muss - was Böhm nicht  tut - in diesem Zusammenhang auch kritische Anfragen an die kirchlichen  Sozialkonzerne Caritas und Diakonie richten, die ebenfalls intensivere  Krippenbetreuung im Eigeninteresse fordern und fördern.
 
 Die Leistung Erziehen
 
 Für Böhm gibt es nur eine Alternative: mit der medizinischen Faktenlage  mehr Nachdenklichkeit wecken. Vor allem ist die Erziehungsfähigkeit der  Väter und Mütter zu stärken. Es sei unumgänglich, diesen  bewusstzumachen, welche Bedeutung „ihre liebevolle und kontinuierliche  Präsenz für die gesunde seelische Entwicklung ihrer Kinder gerade in den  ersten Lebensjahren" hat. „Während Mütter durch Geburt und Stillzeit  die Hauptbeziehungsperson der ersten Lebensphase sind, sollten Väter  darin bestärkt und gefördert werden, diese Rolle häufiger im  fortgeschrittenen Kleinkindalter zu übernehmen."
 
 Die Politik aller Parteien - mitsamt der geschürten  Krippenplatz-Hysterie - sieht der erfahrene Kinderarzt und  Wissenschaftler auf einem falschen Weg, weil sie die Erziehungsleistung  der Eltern gesellschaftlich faktisch weiter entwertet. Statt „Placebos"  zu verteilen, müsste eine massive strukturelle Veränderung zugunsten  eines echten Familienlastenausgleichs politisch in Gang gebracht werden.  Dieser Ausgleich wäre zugleich eine Investition und Rücklage für die  jüngeren Generationen, die eine durch massive Staatsverschuldung  gefährdete Zukunft bewältigen müssen. Und das sind unsere Kinder und  Kindeskinder.
 
 Das Argument, dass allein Ganztagsfremdbetreuung von klein auf Kinder  aus sozial schwierigsten Familien fördern kann, lässt Böhm derart  allgemein ebenfalls nicht gelten. Natürlich müssen diese Betroffenen  besondere Unterstützung und Zuwendung erfahren - aber eben gerade nicht  außerhalb, sondern bevorzugt innerhalb der Herkunftsfamilien, im Rahmen  ihrer ursprünglichen Lebenswelt, „in Anwesenheit ihrer primären  Bindungspersonen". Dazu braucht man Familienhebammen, Elterntrainings,  frühe heilpädagogische Maßnahmen, sozialpädagogische Hilfen etwa durch -  wie man sie früher bezeichnete - Fürsorgehelferinnen. Notwendig seien  ebenfalls stadtteilzentrierte Kleinkind-Spielgruppen, über die man die  Mütter gezielt ansprechen kann, in einer gewissen „Freizone" außerhalb  ihres engen prekären Umfeldes.
 
 Das Kindeswohl ist nicht einfachhin identisch mit dem Elternwohl, mit  den elterlichen Selbstverwirklichungsbedürfnissen. Elternsein stellt  hohe Ansprüche - an jedes Paar. Elternpflicht ist nicht immer  Elternlust. Aber Verantwortung meint zuerst Selbstverantwortung. Die  intensive Eigenerziehung nimmt den Eltern niemand ab. Der freiheitliche  Staat soll sie um seiner eigenen Zukunft willen durch Lastenausgleich  unterstützen. Er darf die elterliche Bindung jedoch nicht ersetzen  wollen. Das ist keine Erkenntnis der Ökonomie. Es ist eine Erkenntnis  der Biologie - des Lebens selber. Vater, Mutter, Kind: Dem sollten wir  uns wieder stellen, ideologiekritisch, kulturkritisch, politikkritisch.
 
 
 CIG 19/2012
 
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